Wirkstoffe10 min LesezeitVeröffentlicht am 22. September 2025

Finasterid Nebenwirkungen: Was du wirklich wissen musst

Nebenwirkungen von Finasterid sind ein häufig diskutiertes Thema. Während manche Quellen dramatisieren, relativieren andere. Dieser Ratgeber gibt einen wissenschaftlich fundierten Überblick über tatsächliche Risiken, Häufigkeiten und was du für eine informierte Entscheidung wissen musst.

Autor: Beda Diggelmann · Gründer & CEO orva

Die Datenlage aus den Zulassungsstudien

Die ursprünglichen Zulassungsstudien der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) untersuchten über 1.500 Männer über zwei Jahre und liefern wichtige Grundlagen zum Verständnis der Nebenwirkungen. [1] Für Details zur Wirksamkeit siehe Finasterid: Wirkung & klinische Studien.

FDA-Zulassungsstudien (1 mg für Haarausfall)

Die Ergebnisse zu sexuellen Nebenwirkungen zeigten ein überraschendes Bild:

NebenwirkungFinasterid (1 mg)PlaceboDifferenz
Verminderte Libido1,8 %1,3 %0,5 %
Erektile Dysfunktion1,3 %0,7 %0,6 %
Ejakulationsstörungen1,2 %0,7 %0,5 %
Sexuelle Nebenwirkungen in FDA-Zulassungsstudien (n=1.500)

Wichtig: Die Differenz zwischen Finasterid und Placebo betrug nur 0,5-0,6 Prozentpunkte. Selbst in der Placebo-Gruppe traten sexuelle Nebenwirkungen auf.

Der Nocebo-Effekt und die Macht der Erwartung

Eine bemerkenswerte italienische Studie untersuchte den Nocebo-Effekt bei Finasterid 5 mg (Prostata-Dosis). [2] Das Studiendesign umfasste 120 Männer mit Prostatavergrösserung, die in zwei Gruppen eingeteilt wurden: Gruppe A erhielt keine Information über mögliche sexuelle Nebenwirkungen, während Gruppe B ausführlich über diese informiert wurde.

Die Ergebnisse nach 12 Monaten waren verblüffend. Bei erektiler Dysfunktion traten in Gruppe B (informiert) 30,9 % Fälle auf, verglichen mit nur 9,6 % in Gruppe A (nicht informiert). Bei verminderter Libido waren es 23,6 % vs. 7,7 %, bei Ejakulationsstörungen 16,3 % vs. 5,7 %. Dies zeigt eindrücklich, dass die Erwartung von Nebenwirkungen diese verstärken oder sogar auslösen kann. Der Nocebo-Effekt erklärt, warum verschiedene Studien zu unterschiedlichen Raten kommen.

Häufigkeit und Art der Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen von Finasterid sind gut dokumentiert und treten in unterschiedlicher Häufigkeit auf. Hier ein Überblick über die wichtigsten Kategorien.

Sexuelle Nebenwirkungen

Die am häufigsten diskutierten Nebenwirkungen betreffen die Sexualfunktion. Meta-Analysen zeigen je nach Studiendesign unterschiedliche Ergebnisse: [3] Die FDA-Studien berichten 1,8 % gegenüber 1,3 % in der Placebo-Gruppe, während Meta-Analysen Raten von 5-15 % (einschliesslich Nocebo-Effekt) und Real-World-Daten 3-8 % zeigen.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich bei 3-5 % echter, medikamentenbedingter sexueller Nebenwirkungen. Die höheren Raten in manchen Studien sind teilweise durch den Nocebo-Effekt erklärbar. Bei den meisten Betroffenen sind die Symptome mild bis moderat, reversibel nach Absetzen (2-3 Monate) und oft selbstlimitierend, das heisst sie verschwinden bereits während der Einnahme wieder.

Verlauf der Nebenwirkungen

Der zeitliche Verlauf von Nebenwirkungen folgt einem charakteristischen Muster. [4] Im ersten Jahr treten Nebenwirkungen meist in den ersten 6-12 Monaten auf, während ab dem zweiten Jahr neue Nebenwirkungen selten sind. Nach Absetzen verschwinden 90-95 % der Symptome innerhalb von 2-3 Monaten. Bemerkenswert ist, dass 30-50 % der Symptome bereits während der Einnahme nach 6-12 Monaten spontan verschwinden.

Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit

Eine wichtige Studie untersuchte die Effekte auf Spermienparameter und fand folgende Befunde: [5] Es kommt zu einer leichten Reduktion der Spermienanzahl um etwa 10-15 % sowie einer leichten Reduktion des Ejakulatvolumens. Die Spermienmotilität wird jedoch nicht signifikant beeinträchtigt. Wichtig zu wissen ist, dass sich alle Parameter 3-6 Monate nach Absetzen vollständig normalisieren.

Wenn du einen aktiven Kinderwunsch hast, solltest du Finasterid 2-3 Monate vor geplanten Konzeptionsversuchen absetzen. Die Spermienparameter normalisieren sich vollständig nach dem Absetzen.

Gynäkomastie (Brustvergrösserung)

Eine seltene, aber dokumentierte Nebenwirkung ist die Gynäkomastie. [6] Die Häufigkeit liegt je nach Studie und Dosis bei 0,4-1,2 %, wobei sie meist bei der höheren 5 mg Dosis (Prostata-Behandlung) auftritt. In den meisten Fällen ist die Gynäkomastie nach Absetzen reversibel und tritt oft asymmetrisch auf, das heisst nur eine Seite ist betroffen. Bei topischer Anwendung (0,005-0,2 %) ist das Risiko minimal, da die systemische Exposition deutlich geringer ist.

Post-Finasterid-Syndrom (PFS)

Das Post-Finasterid-Syndrom ist ein kontroverses Thema in der medizinischen Diskussion. Die wissenschaftliche Beweislage ist komplex und wird intensiv erforscht.

Was ist PFS?

Das Post-Finasterid-Syndrom beschreibt persistierende Symptome nach Absetzen von Finasterid. [7] Betroffene berichten von andauernder sexueller Dysfunktion, kognitiven Beeinträchtigungen, depressiven Verstimmungen und Müdigkeit, die auch nach dem Absetzen des Medikaments fortbestehen sollen.

Was sagt die Wissenschaft?

Die wissenschaftliche Bewertung ist komplex und zeigt ein gespaltenes Bild. Für die Existenz von PFS sprechen anekdotische Berichte von Betroffenen, Online-Foren mit hunderten Berichten und einige Fallstudien, die persistierende Symptome dokumentieren. Gegen PFS als eigenständige Entität spricht, dass keine prospektiven klinischen Studien das Syndrom bestätigen konnten, die Symptome schwierig von natürlichen Alterungsprozessen zu unterscheiden sind und der Nocebo-Effekt Symptome verstärken oder prolongieren kann. Die Prävalenz ist unklar, Schätzungen reichen von 1:5.000 bis 1:10.000. [7]

Swissmedic-Position

2017 führte Swissmedic eine Meldepflicht für persistierende Nebenwirkungen ein. [8] 2025 wurden neue Warnhinweise bezüglich psychischer Nebenwirkungen, einschliesslich Suizidgedanken, aufgenommen. [9]

Die Behörde anerkennt, dass in seltenen Fällen Symptome persistieren können, betont aber: Die wissenschaftliche Evidenz für einen kausalen Zusammenhang ist limitiert.

Risikofaktoren für PFS

Obwohl unklar ist, ob PFS eine eigenständige Entität ist, gibt es Hinweise auf mögliche Risikofaktoren. Dazu zählen vorbestehende Angststörungen oder Depressionen, ein jüngeres Alter bei Behandlungsbeginn (unter 21 Jahre), abruptes Absetzen statt schrittweiser Reduktion sowie eine hohe Erwartungsangst bezüglich Nebenwirkungen.

Topisch vs. Oral

Die gute Nachricht ist, dass topisches Finasterid ein deutlich besseres Nebenwirkungsprofil zeigt als die orale Einnahme. [13]

NebenwirkungTopisch (0,25 %)Oral (1 mg)
Sexuelle Nebenwirkungen2,8 %4,8 %
Serum-DHT Reduktion35 %55 %
Systemische ExpositionMinimalVollständig
Vergleich Nebenwirkungsprofil topisch vs. oral

Bei ultra-niedrig dosiertem topischem Finasterid (0,005 %) ist die Nebenwirkungsrate nochmals geringer, da praktisch keine systemische Absorption stattfindet.

Positive Aspekte von Finasterid

Oft übersehen ist die Tatsache, dass Finasterid auch positive gesundheitliche Effekte haben kann.

Prostataschutz

Eine Langzeitstudie über 18 Jahre zeigte bemerkenswerte Ergebnisse. [10] Finasterid führte zu einer 25 % Reduktion des Prostatakrebsrisikos, wobei besonders ein Schutz vor aggressiven Tumoren nachgewiesen wurde. Langfristig zeigte sich kein erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Kardiovaskuläre Effekte

Eine 2024 veröffentlichte Studie fand interessante kardiovaskuläre Effekte. [11] Finasterid verlangsamte die Atherosklerose-Progression und führte zu einer Reduktion des Plasma-Cholesterins. Diese Befunde deuten auf mögliche kardioprotektive Effekte hin.

Über 25 Jahre klinische Anwendung und Millionen behandelter Patienten zeigen: Finasterid ist ein gut verträgliches Medikament mit einem günstigen Langzeit-Sicherheitsprofil.

Kontraindikationen und Vorsichtsmassnahmen

Es gibt bestimmte Situationen, in denen Finasterid nicht angewendet werden sollte oder besondere Vorsicht geboten ist.

Absolute Kontraindikationen

Finasterid ist absolut kontraindiziert bei Frauen im gebärfähigen Alter (Schwangerschaftsrisiko), während Schwangerschaft und Stillzeit, bei bekannter Überempfindlichkeit gegen Finasterid sowie bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren.

Relative Kontraindikationen und Vorsichtsmassnahmen

Besondere Vorsicht ist geboten bei aktivem Kinderwunsch (Finasterid sollte 2-3 Monate vor Konzeption abgesetzt werden), vorbestehender sexueller Dysfunktion, schwerer Depression oder Angststörung sowie bei Leberinsuffizienz, wo gegebenenfalls eine Dosisanpassung nötig ist.

Schwangerschaft und kritischer Warnhinweis

Teratogenes Risiko

Finasterid ist hochteratogen für männliche Föten. [12] Es verursacht Missbildungen der Geschlechtsorgane bei männlichen Föten, wobei bereits Hautkontakt mit zerbrochenen Tabletten gefährlich sein kann. Schwangere Frauen dürfen Finasterid weder berühren noch einnehmen. Bei topischem Finasterid sollten Partner und Kinder nicht mit behandelten Hautstellen in Kontakt kommen.

Risikominimierung bei Finasterid

Es gibt verschiedene bewährte Ansätze, um das Risiko von Nebenwirkungen zu minimieren und die Verträglichkeit zu verbessern.

Strategien zur Nebenwirkungsreduktion

Ein wichtiger Ansatz ist der Start mit der niedrigsten wirksamen Dosis. Beginne mit 0,005 % topisch oder 0,25-0,5 mg oral und steigere nur bei Bedarf. Niedrigere Dosen haben weniger Nebenwirkungen bei oft ausreichender Wirksamkeit. Entwickle eine bewusste Einstellung, indem du dich sachlich informierst, aber übermässiges Grübeln über mögliche Nebenwirkungen vermeidest, da der Nocebo-Effekt real ist und Symptome verstärken kann. Führe ein Symptom-Tagebuch und besprich Bedenken mit deinem Arzt, statt abrupt abzusetzen. Oft hilft bereits eine Dosisanpassung. Falls ein Absetzen nötig ist, reduziere schrittweise (z.B. 1 mg → 0,5 mg → 0,25 mg → Stopp), um einen Rebound-Effekt zu vermeiden.

Topische Anwendung als sichere Alternative

Für die Risikominimierung ist topisches Finasterid ideal. Bei einer Konzentration von 0,005 % (2 mL täglich) erfolgt eine minimale systemische Absorption mit praktisch keinen Nebenwirkungen. Bei 0,2 % (1 mL täglich) kommt es zu einer moderaten Absorption, aber immer noch deutlich weniger Nebenwirkungen als bei oraler Einnahme.

Realistische Risikoeinschätzung

Um die Zahlen in Perspektive zu setzen, hier eine realistische Einschätzung:

Realistische Risikoeinschätzung

Bei 100 Männern, die 1 mg Finasterid oral einnehmen, werden 90-95 keine Nebenwirkungen haben. 3-5 Männer werden milde bis moderate sexuelle Nebenwirkungen erleben, die meist reversibel sind. 1-2 werden aufgrund von Nebenwirkungen abbrechen und unter 0,02 könnten persistierende Symptome entwickeln (wenn PFS real ist). Bei topischer Anwendung (0,005-0,2 %) sind die Raten nochmals deutlich niedriger, insbesondere bei der niedrigeren Konzentration von 0,005 %.

Fazit zur informierten Entscheidung

Finasterid ist ein gut erforschtes Medikament mit über 25 Jahren klinischer Erfahrung. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass Nebenwirkungen relativ selten auftreten, wobei echte sexuelle Nebenwirkungen bei etwa 3-5 % der Anwender vorkommen. Diese sind meist mild und reversibel, da 90 % nach dem Absetzen verschwinden. Der Nocebo-Effekt spielt eine grosse Rolle, denn Erwartungsangst verstärkt Symptome nachweislich. Die topische Anwendung reduziert Risiken weiter (2,8 % vs. 4,8 % bei oraler Einnahme) und die Langzeitsicherheit ist mit Millionen Patienten über Jahrzehnte etabliert.

Die Entscheidung für oder gegen Finasterid sollte auf Fakten basieren, nicht auf Angst. Eine schrittweise Herangehensweise mit Start bei niedriger topischer Dosis minimiert Risiken und ermöglicht es dir, die persönliche Verträglichkeit zu testen. Weitere Informationen findest du in unseren Artikeln zu Finasterid Wirkung & Studien, Finasterid topisch vs. oral und Finasterid Rezept Schweiz.

Quellen

  1. [1] Mysore V. (2012). Finasteride and sexual side effects. Indian Dermatology Online Journal. https://doi.org/10.4103/2229-5178.93496 (Aufgerufen am 15.09.2025)
  2. [2] Mondaini N, Gontero P, Giubilei G, et al.. (2007). Finasteride 5 mg and sexual side effects: how many of these are related to a nocebo phenomenon?. Journal of Sexual Medicine. https://doi.org/10.1111/j.1743-6109.2007.00563.x (Aufgerufen am 16.09.2025)
  3. [3] Fertig RM, Caresse GA, Darwin E, Gaudi S. (2017). Sexual side effects of 5-α-reductase inhibitors finasteride and dutasteride: a comprehensive review. Dermatology Online Journal. https://doi.org/10.5070/D32311037240 (Aufgerufen am 17.09.2025)
  4. [4] Estill MC, Ford A, Omeira R, Rodman M. (2023). Finasteride and Dutasteride for the Treatment of Male Androgenetic Alopecia: A Review of Efficacy and Reproductive Adverse Effects. Georgetown Medical Review. https://doi.org/10.52504/001c.88531 (Aufgerufen am 18.09.2025)
  5. [5] Amory JK, Wang C, Swerdloff RS, et al.. (2007). The Effect of 5α-Reductase Inhibition with Dutasteride and Finasteride on Semen Parameters and Serum Hormones in Healthy Men. Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism. https://doi.org/10.1210/jc.2006-2203 (Aufgerufen am 19.09.2025)
  6. [6] Ramot Y, Czarnowicki T, Zlotogorski A. (2009). Finasteride-induced Gynecomastia: Case Report and Review of the Literature. International Journal of Trichology. https://doi.org/10.4103/0974-7753.51930 (Aufgerufen am 16.09.2025)
  7. [7] Traish AM. (2020). Post-finasteride syndrome: a surmountable challenge for clinicians. Fertility and Sterility. https://doi.org/10.1016/j.fertnstert.2019.11.030 (Aufgerufen am 20.09.2025)
  8. [8] Swissmedic. (2017). Finasterid: Persistierende Nebenwirkungen. Swissmedic. https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/pharmacovigilance/vigilance-news/finasterid-persistierende-nebenwirkungen.html (Aufgerufen am 20.09.2025)
  9. [9] Swissmedic. (2025). DHPC – Finasterid / Dutasterid: Neue Massnahmen zur Minimierung des Risikos für Suizidgedanken. Swissmedic. https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/health-professional-communication--hpc-/dhpc-finasterid-dutasterid.html (Aufgerufen am 21.09.2025)
  10. [10] Goodman PJ, Tangen CM, Darke AK, et al.. (2019). Long-Term Effects of Finasteride on Prostate Cancer Mortality. New England Journal of Medicine. https://doi.org/10.1056/NEJMc1809961 (Aufgerufen am 18.09.2025)
  11. [11] McQueen P, et al.. (2024). Finasteride delays atherosclerosis progression in mice and is associated with a reduction in plasma cholesterol in men. Journal of Lipid Research. https://doi.org/10.1016/j.jlr.2024.100507 (Aufgerufen am 21.09.2025)
  12. [12] MotherToBaby. (1994). Finasteride. Organization of Teratology Information Specialists (OTIS). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK582707/ (Aufgerufen am 15.09.2025)
  13. [13] Hafner J, Läuchli S. (2023). Androgenetische Alopezie: Mehr Therapien für mehr Haare. Rosenfluh Publikationen. https://www.rosenfluh.ch/media/congressselection/2023/02/Androgenetische-Alopezie-Mehr-Therapien-fuer-mehr-Haare.pdf (Aufgerufen am 21.11.2025)

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